Weiße Fahnen in München zum 75. Jahrestag der Befreiung

Das Münchner Rathaus von 30. April - 8. Mai - Foto: P. Brüning

Am 75. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg wehten zum ersten Mal in der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ etwa 200 weiße Fahnen an öffentlichen und privaten Gebäuden – mit der Aufschrift „Tag der Befreiung 30. April 1945“ – als sichtbares Zeichen für Freiheit und Menschenrechte, gegen rechtsextremistische Tendenzen und Geschichtsrevisionismus.
 
Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter übernahm die Schirmherrschaft für das Projekt, das der Künstler Wolfram P. Kastner und der Grafikdesigner Michael Wladarsch, Vorsitzender des Bundes für Geistesfreiheit München, initiierten. So flatterten 14 weiße Fahnen auf dem zentralen Marienplatz und einige städtische Einrichtungen beteiligten sich daran. Vor dem Landtag hissten Landtagspräsidentin Ilse Aigner und der Präsident der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, höchstpersönlich weiße Fahnen.
 
Es ist ein gutes Zeichen, dass sich 40 städtische und staatliche sowie weitere private Institutionen mit weißen Fahnen sich demonstrativ für Freiheit und Frieden und gegen Hass und Gewalt einsetzen.

Bayerischer Landtag – Foto: Hans Proft

1945 waren beim Einzug der Rainbow Division nur wenige weiße Fahnen in der Stadt zu sehen. Befreit wurden damals die Verfolgten, die KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen, Widerständigen, Untergetauchten und Deserteure. Eine Niederlage erlebten die Nazis, die Kriegsverbrecher, die furchtbaren Richter und Ärzte, die Mitläufer, Unterstützer und Profiteure, die große Mehrheit der Deutschen, die bis zuletzt dem Mörderregime treu blieben. Die NS-Verbrechen wurden viel zu lange verharmlost und vertuscht. Leider kamen die meisten ungestraft davon und konnten im „Kalten Krieg“ Karrieren machen.
 
Die entscheidende Frage ist heute, in welche Tradition wir uns stellen und darauf eine bessere freiheitliche Gegenwart und Zukunft aufbauen – in die Tradition der Befreiten oder in die Tradition der Besiegten, der Mörder, der Vertuscher, der Nationalisten, Antisemiten und Militaristen? Wir müssen gerade heute Freiheit, Menschenwürde und Frieden für alle sichern, verteidigen und weiterentwickeln. Wir müssen die braune Pest eindämmen. Wir sind alle dafür verantwortlich.
 
Eigentlich waren auch ein internationales Frühstück, internationale Musik und Stelen auf dem Marienplatz mit Fotos von damals geplant. Wegen der Corona-Pandemie war das leider nicht möglich. Aber nächstes Jahr werden noch viel mehr weiße Fahnen wehen, ein Fest der Befreiung, ein weißes internationales Frühstück, Musik, Ausstellungen und Veranstaltungen stattfinden.
 
Der 30. April in München und der 8. Mai landesweit sollen endlich Feiertage werden – mit Geschichtsbewusstsein und freiheitlicher Zukunftsperspektive.

Michael Wladarsch                              Wolfram P. Kastner