Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) fordert die politisch Verantwortlichen auf keine nächtlichen Ausgangsbeschränkungen zu erlassen. Ebenso lehnt das Grundrechtekomitee Ausgangssperren ab. Wir dokumentieren zunächst die Zuwortmeldung der HU vom 13. April 2021 im Wortlaut:
In dieser Woche soll das Infektionsschutzgesetz erneut geändert werden. Der vorliegende Entwurf sieht zwingend nächtliche Ausgangsbeschränkungen ab einem Inzidenzwert von 100 vor. Zwar ist die Corona-Krise eine nicht beherrschte Bedrohung für die Gesellschaft, aber die zur Bekämpfung von Covid-19 tiefen Eingriffe in Grundrechte müssen verhältnismäßig sein.
Der vorliegende Entwurf sieht zwingende Maßnahmen für Landkreise und kreisfreie Städte mit einer Inzidenz ab einem Schwellenwert 100 vor. Dazu gehört unter anderem die nächtliche Ausgangsbeschränkung, die bereits vereinzelt durch Landesverordnungen gilt. Diese Maßnahme wird einer sorgfältigen Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht standhalten. Zuletzt zeigte dies ein Urteil des OVG Lüneburg (AZ.: 13 ME 166/21).
Mikey Kleinert vom Bundesvorstand der Humanistischen Union erklärt dazu: „Die vorgesehenen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen verbieten auch den einsamen Parkspaziergang oder die nächtliche Joggingrunde. Für die Reduzierung physischer Kontakte ist das keine notwendige Maßnahme.“ Viele andere Maßnahmen könnten hingegen das Infektionsgeschehen positiv beeinflussen, beispielsweise verstärkte Testpflichten für Unternehmen oder eine Verpflichtung zum Home-Office, soweit es möglich ist.
„Es gibt mildere Mittel, die beim neuen Gesetzesentwurf gar keine Rolle spielen. Es wird weiter die Verantwortung auf das Individuum abgewälzt, obwohl andere Maßnahmen einen sehr viel größeren Erfolg bei einem kleineren Grundrechtseingriff versprechen“, erklärt der Vorsitzende der Humanistischen Union Werner Koep-Kerstin.
Die Humanistische Union lehnt deshalb die derzeit geltenden und die im Entwurf vorgesehenen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen ab. Wir appellieren an alle politisch Verantwortlichen, aus Respekt vor der Freiheit dieses Mittel nicht anzuwenden. Sollte der Gesetzesentwurf weiter nächtliche Ausgangsbeschränkungen umfassen, wird die Humanistische Union juristische Schritte prüfen.“
Auch das Grundrechtekomitee lehnt in einer Erklärung vom 15. April 2021 Ausgangssperren ab:
„Der aktuelle Entwurf der Bundesregierung für ein verschärftes Infektionsschutzgesetz enthält unter anderem nächtliche Ausgangssperren von 21 bis 5 Uhr als eine der Maßnahmen zur Einschränkung der Corona-Pandemie. Diese sollen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 gelten, es sei denn, der Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung ist begründet. Ausnahmen sollen nur etwa für medizinische Notfälle oder den Weg zur Arbeit gelten.
Das Grundrechtekomitee lehnt Ausgangssperren ab und fordert, diese aus dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung und allen sonstigen Maßnahmenkatalogen zu entfernen. Ausgangssperren stellen einen weiteren Schritt in der schon jetzt umfänglichen Reglementierung des Privatlebens dar, während diverse Bereiche der Wirtschaft, insbesondere Großbetriebe, weiterhin vielfach von pandemiebedingten Vorschriften unbehelligt bleiben.
Ausgangssperren schränken darüber hinaus nicht nur die Bewegungsfreiheit aller ein, sie bringen vor allem marginalisierte und vulnerable Gruppen in Gefahr. Denn Ausgangssperren dienen insbesondere der Vereinfachung der Kontrolle von Individuen im öffentlichen Raum. Derartige Kontrollen richten sich erfahrungsgemäß weniger gegen eine wohlhabende Mehrheitsgesellschaft, sondern überproportional gegen Jugendliche und Zugehörige marginalisierter Gruppen, wie etwa von Rassismus betroffene Menschen, Wohnungslose oder Menschen in ärmeren Stadtteilen.
Britta Rabe, Referentin des Grundrechtekomitees, kommentiert: ‚Ausgangssperren sind nichts anderes als ein Freibrief für Schikane, Willkür und Gewalt durch die Polizei. Es ist klar, wen diese Schikane trifft: Gruppen, die nicht Teil der bürgerlichen weißen Mehrheitsgesellschaft sind. Ausgangssperren verschärfen Racial und Social Profiling.‘
In dem Wissen, dass Ausgangssperren zudem oft kaum effektiv auf das Pandemiegeschehen wirken, wie auch die Gesellschaft für Aerosolforschung in einem offenen Brief jüngst ausgeführt hat, fehlen rechtsstaatliche Argumente für Begründung dieses massiven Grundrechtseingriffs.
Sollten Ausgangssperren in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen werden, ermutigen wir zum Beschreiten des Rechtswegs. Es wäre zu hoffen, dass möglichst viele Gerichte der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 7. April 2021 folgen. Dieses hatte Ausgangsbeschränkungen im Eilverfahren für „voraussichtlich rechtswidrig“ erklärt.“