„Wider die Popularklage des Bundes für Geistesfreiheit Bayern gegen die Einführung des Islamischen Unterrichts“

Assunta Tammelleo, Co-Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit München, und Dietmar Freitsmiedl, Schriftführer im Vorstand des Bundes für Geistesfreiheit München, sprechen sich gegen die Popularklage des Bundes für Geistesfreiheit Bayern aus, die die Einführung des Islamischen Unterrichts an bayerischen Schulen verhindern will.
Zweimal (Februar und Juni 2021) hat sich der Vorstand des Bundes für Geistesfreiheit München mit dem Thema beschäftigt und sich mehrheitlich gegen eine Beteiligung an der Popularklage ausgesprochen. Die Ortsgemeinschaft in München ist die mit Abstand größte im Bund für Geistesfreiheit Bayern.
Am 6. Juli 2021 hat der Bayerische Landtag die Einführung des Schulfachs Islamischer Unterricht beschlossen.
 

Im Folgenden die Stellungnahme der beiden Münchner Vorstände, Assunta Tammelleo und Dietmar Freitsmiedl:

Um gleich vorneweg eines klarzustellen: Grundsätzlich treten wir für einen Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler ein. Gemeinsamer Ethikunterricht, der Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen weltanschaulichen, kulturellen und religiösen Hintergründen zusammenbringt, könnte gerade in der heutigen Zeit eine herausragende Rolle an den Schulen spielen. Der Unterricht sollte sich mit Philosophie, Religionskunde, Weltanschauungslehre, Naturwissenschaften sowie Menschenrechten beschäftigen, wichtige Werte und Normen vermitteln und aktuelle gesellschaftliche Fragen diskutieren. Denn wo sonst könnten Kinder und Jugendliche besser miteinander über wichtige Themen wie Krieg und Frieden, Demokratie und Bürgerrechte oder Weltanschauungen und Religionen diskutieren als im Klassenzimmer unter Anleitung einer in ethischen Fragen ausgebildeten Lehrkraft?

Realität aber ist: Ethikunterricht für alle gibt es (noch) nicht. Deswegen kann es nicht angehen, dass den Anhängerinnen und Anhängern der islamischen Glaubensrichtung im Gegensatz zu den katholischen und evangelischen Christinnen und Christen ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht vorenthalten wird. Wenn es schon Bekenntnisunterricht gibt, dann einen für jede Glaubensrichtung. Der Staat muss alle Religionen und Weltanschauungen gleichbehandeln.

In Art. 136 Abs. 2 Bayerische Verfassung ist zu lesen: „Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach aller Volksschulen, Berufsschulen, mittleren und höheren Lehranstalten. Er wird erteilt in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgemeinschaft.“
Die bayerische Staatsregierung argumentiert nun, dass es nicht geht, für Musliminnen und Muslime einen bekenntnisorientierten Unterricht einzurichten – mit dem Verweis, dass ihr für die Einführung eines solchen die Ansprech- und Kooperationspartnerin, also die Religionsgemeinschaft, fehlt. Das ist einerseits nachvollziehbar, weil es nicht die islamische Religionsgemeinschaft, sondern viele Islamverbände gibt, die zudem nicht alle auf dem Boden des Grundgesetzes stehen sollen, wie einigen Medien zu entnehmen war. Andererseits ist es schlicht ein Armutszeugnis und eine Ausrede.

Dass es geht, zeigt das Bundesland Baden-Württemberg, das inzwischen einen Islamischen Religionsunterricht eingeführt hat. Die bayerischen Landtags-Grünen haben daher in Anlehnung an Baden-Württemberg vorgeschlagen, eine Stiftung des öffentlichen Rechts mit Namen Islamischer Schulrat zu gründen. So sei eine demokratische Beteiligung von Verbänden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts garantiert, sagen die Grünen.

Stattdessen wird es in Bayern nur einen „Islamischen Unterricht“ als reguläres Unterrichtsfach vergleichbar mit dem Ethikunterricht (Art 137 Abs. 2 Bayerische Verfassung) geben. Dieser ist angelehnt an den „Modellversuch Islamischer Unterricht“ und darf verfassungsrechtlich nicht über einen Islamkunde-Unterricht hinausgehen. In Art. 47 Abs. 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen heißt es nun: „Schülerinnen und Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, sind verpflichtet am Ethikunterricht oder am Islamischen Unterricht teilzunehmen.“

Das ist zunächst eine religiöse Diskriminierung der Musliminnen und Muslime und der mehr als 160.000 Kinder und Jugendlichen aus dem islamischen Kulturkreis und als solche wird sie auch empfunden. Eine Gleichstellung mit ihren christlichen, jüdischen und alevitischen Mitschülerinnen und Mitschülern findet nicht statt, obwohl selbstverständlich Kinder und Jugendliche aus dem islamischen Kulturkreis wie alle anderen einen grundgesetzlich verbrieften Anspruch auf bekenntnisorientierten Religionsunterricht haben (Art. 7 Abs. 3 GG).

Die Landtags-Grünen bezeichnen daher den Islamischen Unterricht als „Ethikunterricht mit islamischer Ausrichtung“ bzw. als „Ethik mit besonderer Erwähnung des Islams.“
Zudem soll der Islamische Unterricht zunächst nur an ca. 350 Schulen von über 4.600 allgemeinbildenden Schulen starten. Eine flächendeckende Einführung schaut anders aus.

Die islamischen Verbände teilten in einer Erklärung am 9. März 2021 mit:
„Die islamischen Religionsgemeinschaften waren bei der Ausgestaltung der Lehrinhalte nicht eingebunden. Mithin hat der Staat die Inhalte bestimmt, was gegen das Neutralitätsgebot verstößt, weil der Staat säkular, religiös und weltanschaulich neutral sein muss. Der ‚Islamische Unterricht‘ verschiebt die verfassungsmäßigen Grenzen zum Nachteil der muslimischen Bürgerinnen und Bürger. Ihnen wird ein ordentlicher Religionsunterricht, so wie er für Angehörige anderer Religionen erteilt wird, vorenthalten.“

Nicht auszuschließen, dass die Islamverbände klagen werden. Vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof zieht, wie wir inzwischen wissen, auf alle Fälle die AfD. Sie spricht sich sowohl gegen einen Islamischen Unterricht als auch gegen einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht aus.
 
Popularklage erhoben hat ebenfalls der Bund für Geistesfreiheit Bayern, auch er will die Einführung des Islamischen Unterrichts verhindern. Im Gegensatz zu den Landtags-Grünen sieht die Organisation im Islamischen Unterricht weniger einen Islamkunde-Unterricht, sondern vielmehr einen mit einem anderen Namen versehenen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht.
 
Darüber lässt sich wahrscheinlich trefflich streiten. Dabei würden wir uns vom Bund für Geistesfreiheit Bayern wünschen, dass er dabei die  die Themenfelder Gleichstellung und Gleichberechtigung stärker beachtet, sensibler und empathischer agiert.
 
Den Unterstützerinnen und Unterstützern der Popularklage geht es in unseren Augen nicht um Gleichbehandlung der Musliminnen und Muslime mit den anderen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen, sondern faktisch und im Ergebnis sprechen sich die Kläger dafür aus, dass Kinder und Jugendliche aus dem islamischen Kulturkreis im Ethikunterricht verbleiben sollen. Wir betrachten das als Bevormundung einer religiösen Minderheit. Damit können wir nichts anfangen und distanzieren uns ausdrücklich. Wir treten ein für die rechtliche Gleichstellung und faktische Gleichbehandlung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, für Selbstbestimmung, Toleranz und freie Entscheidung. Dinge die übrigens, wenn es um säkulare Belange geht, wortreich und laut eingefordert werden.
 
Dem Bund für Geistesfreiheit Bayern möchten wir zudem empfehlen, mit Menschen aus dem islamischen Kulturkreis über persönliche und strukturelle Diskriminierung sowie Ausgrenzung zu sprechen. Da wird man schnell feststellen, dass die Grund- und Menschenrechte, die die Säkularen unentwegt im Mund führen, für Menschen aus dem islamischen Kulturkreis in der Realität oft nur auf dem Papier stehen.

Die Stoßrichtung der Klage des Bundes für Geistesfreiheit Bayern gegen den Islamischen Unterricht richtet sich daher in unseren Augen weniger gegen die bayerische Staatsregierung, sondern gegen die muslimischen Familien, von denen nur eine kleine Minderheit in den Islamverbänden überhaupt organisiert ist. Den Familien bzw. den Schülerinnen und Schülern möchte man nicht mal die Entscheidungsfreiheit und Autonomie zugestehen, in Zukunft zwischen Islamischen Unterricht und Ethikunterricht wählen zu dürfen. Denn es steht ja weiterhin allen Familien frei, ihre Kinder in den Ethikunterricht zu schicken. Fürchten die Säkularen vielleicht, dass der Ethikunterricht an Zulauf verlieren wird?

Gut finden eine solche Popularklage sicherlich die AfD und die Teile der CSU, die ebenfalls keinen Islamischen Unterricht wünschen. Wir aber möchten deren Geschäft nicht betreiben.
Alle anderen Parteien im Landtag haben den Islamischen Unterricht begrüßt oder er ging ihnen sogar nicht weit genug, ebenso hat sich der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband sowie AGABY, die Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns, für den Islamischen Unterricht ausgesprochen.
 
Was will der Bund für Geistesfreiheit Bayern mit dieser Popularklage den muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vermitteln? Und welche Strategie steckt dahinter? Gerne hätten wir darauf Antworten.
 
Die säkulare Bewegung im Freistaat sollte vielmehr ihr Bemühen auf die Aufwertung des Ethikunterrichts in Bayern lenken und auf glaubwürdige Initiativen und Kampagnen für einen Ethikunterricht für alle.
Denn sicher ist: Der bekenntnisorientierte Islamunterricht in Bayern wird, siehe Baden-Württemberg, früher oder später kommen, daran wird auch eine erfolgreiche Popularklage nichts ändern, sondern den Prozess dorthin eher noch beschleunigen.
 
Generell würden wir uns wünschen, dass sich der Bund für Geistesfreiheit Bayern in Zukunft – der Welt und den Menschen zugewandt – zusammen mit anderen demokratischen Bündnispartnern für eine bessere Welt einsetzt. Eine Klage gegen den Islamischen Unterricht gehört nicht dazu.