Mit dem Antritt des neuen Bundeskabinetts steht die Bundesregierung in der Pflicht, die rechtlichen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen für Schwangerschaftsabbrüche grundlegend zu reformieren. Der Deutsche Ärztetag hat sich zuletzt unmissverständlich für eine Entkriminalisierung ausgesprochen – ein deutliches Signal des höchsten ärztlichen Gremiums für die Stärkung der Selbstbestimmung und eine Verbesserung der medizinischen Versorgungslage für ungewollte Schwangere. Wir dokumentieren an dieser Stelle die Pressemitteilung des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung vom 11. Juni 2025.
„Aktuell regelt § 218 Strafgesetzbuch (StGB) den Schwangerschaftsabbruch. Die Verortung im Strafgesetzbuch hat weitreichende Konsequenzen: Betroffene sowie Ärzt*innen werden kriminalisiert und stigmatisiert. Eine gesetzliche Neuregelung außerhalb des Strafrechts, wie sie von ärztlicher Seite gefordert wird, muss nun zügig geprüft und umgesetzt werden.
Versorgungslücken und Hürden in der Praxis
Die von der Bundesregierung beauftragte ELSA-Studie (2021–2024) macht den Reformbedarf deutlich: Über die Hälfte der Betroffenen hat Schwierigkeiten, verlässliche Informationen zu erhalten; jede dritte Person muss mehrere Praxen kontaktieren, um einen Termin zu erhalten. Hinzu kommt eine alarmierende Versorgungslücke insbesondere in westdeutschen Regionen, wo viele Kliniken keine Schwangerschaftsabbrüche mehr anbieten.
Gynäkolog*innen berichten über innere und äußere Barrieren: religiöse Vorbehalte, fehlende geeignete Räumlichkeiten und institutionelle Hürden führen dazu, dass viele Ärzt*innen sich nicht in der Lage sehen, Abbrüche durchzuführen – selbst wenn sie prinzipiell bereit dazu wären. Die hohe Stigmatisierung, insbesondere im ambulanten Bereich und in Regionen mit geringem Versorgungsgrad, verschärft die Situation zusätzlich.
Ein aktuelles besonders drastisches Beispiel: Nach der Fusion eines Klinikums in Lippstadt mit einem katholischen Träger wurden dem Gynäkologen Prof. Joachim Volz selbst medizinisch notwendige Abbrüche untersagt. Über 60 Ärzt*innen kritisierten dieses Vorgehen in einem offenen Brief als Verstoß gegen die ärztliche Ethik.Für Patient*innen in der Region bedeutet das: keine wohnortnahe und sichere Versorgung mehr.
Politik muss jetzt handeln
Trotz der im Koalitionsvertrag angekündigten Neuregelung außerhalb des Strafgesetzbuches fehlt bislang jeder konkrete gesetzgeberische Schritt: weder liegt ein Gesetzesentwurf vor, noch ist ein Zeitplan erkennbar. Diese Untätigkeit sorgt für anhaltende Rechtsunsicherheit bei ungewollt Schwangeren wie auch bei Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen.
Eine nachhaltige Entkriminalisierung erfordert mehr als eine reine Gesetzesänderung: Notwendig sind der Abbau struktureller Hürden, der gesicherte Zugang zu Informationen, eine bessere Ausstattung medizinischer Einrichtungen sowie gezielte Maßnahmen zur Entstigmatisierung – im Interesse der Betroffenen wie der durchführenden Ärzt*innen. Das neue Kabinett steht hier in der Pflicht, nicht nur symbolische, sondern konkrete Schritte zu gehen.
Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung ist ein breites Bündnis aus Beratungsstellen, verschiedenen feministischen und allgemeinpolitischen Gruppen, Verbänden, Gewerkschaften und Parteien sowie Einzelpersonen. Seit seiner Gründung 2012 organisiert es Proteste gegen den jährlich stattfindenden, bundesweiten „Marsch für das Leben“. Neben der Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch fordert das Bündnis eine geschlechter- und kultursensible Sexualaufklärung für alle sowie eine angemessene Unterstützung für jene, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrechterhalten können.“